29.04.2022
Viele frischgebackene Mütter werden von dem unangenehmen Gedanken heimgesucht, ihr Baby absichtlich zu verletzen. Dies ist belastend für die betroffenen Frauen, aber kein Grund zur Sorge. Eine kanadische Studie belegt, dass derartig schlimme Gedanken verbreitet sind und kein erhöhtes Risiko für das Neugeborene bedeuten.
Wenn Menschen immer wieder von ungewollten, aufdringlichen Gedanken heimgesucht werden, so sprechen Psychiater von Zwangsgedanken. Die Betroffenen empfinden ihre Zwangsgedanken selbst als absurd, weil sie ihrer eigenen Werten und Empfindungen zutiefst widersprechen. Zwangsgedanken belasten die Betroffenen und können neben Unbehagen auch Schuldgefühle, Scham und Ängste auslösen.
Dr. Nichole Fairbrother von der University of British Columbia in Kanada untersuchte mit ihrem Team den Zusammenhang zwischen Zwangsstörungen, Zwangsgedanken nach der Geburt und mütterlicher Aggression gegen das Neugeborene.
Fast jede zweite frischgebackene Mutter denkt ungewollt daran, ihrem Säugling etwas anzutun
Im Rahmen einer prospektiven Studie stellten die Forschenden 763 frischgebackenen Mütter eine Reihe teils unangenehmer Fragen. Zwangsstörungen wurden mithilfe eines standardisierten Fragebogens ausgewertet.
388 Teilnehmerinnen antworteten. 44,4 % (151) berichteten von ungewollten, wiederkehrenden Gedanken daran, ihr Baby zu verletzen. 2,6 % gaben an, ihr Kind aggressiv behandelt zu haben. Bei den Teilnehmerinnen, die keine derartigen Zwangsgedanken hatten, gaben 3,1 % ein aggressives Verhalten gegenüber ihrem Baby zu.
Frauen mit Anzeichen einer Zwangsstörung verhielten sich ebenfalls nicht häufiger aggressiv gegenüber ihrem Baby – im Vergleich zu Frauen ohne Zwangsstörung.
Der Anteil an Frauen, die von aggressivem Verhalten gegenüber ihrem Baby berichteten, lag insgesamt bei 2,9 %. Bei anderen Studien liegt dieser Wert üblicherweise zwischen 4–9 %.
Negative Gedanken sind normal, könnten aber vulnerablen Frauen schaden
Bei frischgebackenen Müttern sind negative Gedanken, dem eigenen Baby etwas anzutun, ein verbreitetes Phänomen. Es bedeutet aber keineswegs, dass die betroffenen Frauen ihre Säuglinge häufiger schädigen als andere Mütter.
Laut der Autorin Dr. Fairbrother gibt es außerdem Hinweise dafür, dass ungewollte, aufdringliche Gedanken bei vulnerablen – bis dahin unauffälligen – Frauen zur Entstehung einer Zwangsstörung führen könnten. „Vulnerabel“ bedeutet hierbei, dass beispielsweise aufgrund einer bestehenden Zwangserkrankung in der Familie ein erhöhtes Risiko für die Entstehung einer Zwangsstörung vorliegt.
Quelle: Nichole Fairbrother et al, Postpartum Thoughts of Infant-Related Harm and Obsessive-Compulsive Disorder, The Journal of Clinical Psychiatry (2022). DOI: 10.4088/JCP.21m14006